Die Frage, welcher Motor in einem E-MTB werkelt, ist für den Käufer von essenzieller Wichtigkeit. Das, was früher der Rahmen eines Fahrrades war, ist heutzutage die Antriebseinheit eines E-Bike. Im Positiven – wie auch im Negativen. Orientierte sich der Biker früher an den klangvollen Namen der Rahmenhersteller, so orientiert sich der E-Bike Käufer heute am Namen des Antriebs. Und mit der gleichen Leidenschaft, mit der man früher die Frage nach der “reinen Lehre vom Fahrrad” über den Rahmen diskutieren konnte – so leidenschaftlich kann man heutzutage die Frage diskutieren, welcher Motor denn nun das “bessere E-Bike” auszeichnet.

Hat ein E-Bike-Antrieb einen Charakter?

Wir immer schwingt bei diesen Diskussionen sehr viel Subjektivität mit. Oder sogar “Bike-Voodoo”. Spätestens, wenn man dem Rahmen oder dem Motor eine “Seele” attestiert. Wir haben beide Motore – den Brose DriveS Mag und den Bosch Performance CX Generation 4 – getestet und wollen die nüchterne Betrachtung der Fakten wagen. Um zum Schluss eben doch wieder zurück zu einem ganz persönliche Fahrgefühl zu kommen. Zum “Charakter” des Fahrers. Aber auch des Motors.

Beide Motore spielen auf hohem Niveau

Das wichtigste Vorweg: Beide Motoren, – egal ob Brose  DriveS Mag oder Bosch CX der Generation 4 – sind perfekt entwickelte Antriebe. Sie stellen auch in der Saison 2020 die sportliche Speerspitze bei den E-Mountainbike-Antrieben. Auf diesem Niveau gibt es kein „besser oder schlechter“. Es gibt nur feine Unterschiede. Diese zu erfahren, setzt zum einen Erfahrung und ein sensibles “Popometer” voraus. Zum anderen Selbstreflexion. Ist der Antrieb wirklich schlechter in dieser oder jener Disziplin? Oder passt er nur mir >persönlich< nicht? Ein Urteil über einen dieser Motore verrät sehr viel über die eigenen Vorlieben beim Biken.

Ist der Motor die wichtigste Komponente?

Entgegen landläufiger Vorurteile ist der Motor nicht das wichtigste an einem E-Bike. Denn das ist immer noch der Fahrer. Getreu dem Werbeslogan von Ovomaltine “Du kannst es nicht besser – aber länger!” muss man feststellen: Ein E-Bike macht einen nicht automatisch zu einem besseren Fahrer. Ein Pedelec ist ein Mensch-Maschine-Hybrid, eine Hightech-Prothese im positiven Sinn. Damit das reibungslose Zusammenspiel passt, muss der Motor zum Mensch passen. Und nicht umgekehrt. Womit man schon den grundsätzlich falschen Ansatz der Frage entlarvt, welcher Motor denn nun “besser” sei. Wenn man das verstanden hat, dann kann man das Thema Motor diskutieren.

Zahlen alleine sagen nichts aus

Werfen wir zuerst einen Blick auf die Leistungsdiagramme. Nominell liefern beide Motore 250 Watt Dauernennleistung – das ist die gesetzliche Regelung. Heisst das also, die Motore sind alle gleich? Nein. Man muss wissen: ein Pedelec-Motor ist in seiner Spitzenleistung nicht reglementiert. So bietet der 2020er Bosch CX mit ca. 550 Watt Spitzenleistung auf dem Papier mehr Leistung als der Brose DriveS mit seinen knapp über 500 Watt. In der Praxis können diese Zahlen jedoch schon von unterschiedlichen Reifen “gefressen” werden. Alleine der falsche Luftdruck im Reifen kann bis zu 40 Watt Unterschied ausmachen. Einen kleinen Sieg im “Quartett für E-MTBler” macht man mit dem Brose in Sachen Drehmoment: da steht es 90Nm zu 75Nm beim Bosch CX Generation 4. Doch: was heissen diese Zahlen in der Praxis?

Der Fahrer hat den größten Einfuss

Ein Pedelec multipliziert die Leistung des Fahrers. Das Prinzip ist klar. Nur: in welchem Maß das funktioniert, ist jede Hersteller selbst überlassen. Beim Bosch muss der Fahrer etwas mehr Eigenleistung ins System treten, um dann auch eine höhere Spitzenleistung heraus zu bekommen. Beim Brose muss der Fahrer weniger Leistung beisteuern – erhält aber auch eine etwas geringere Spitzenleistung. Man könnte sagen, dass der Bosch daher der sportlichere Motor ist, da er den Fahrer mehr fordert. Aber auch das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Der Brose überzeugt mit einem ungeahnt starken Antritt bei niedriger Kadenz und relativ geringer Eigenleistung. Er wirkt dabei nie ruppig oder grob. Wir waren verblüfft, wie kraftvoll-vehement der Brose DriveS von unten heraus anschiebt. Da muss sich der Bosch CX 2020 tatsächlich etwas geschlagen geben. Das können die 15NM mehr sein die man hier spürt. Das kann aber auch schlicht und einfach eine andere Leistungscharakteristik sein. Wie auch immer: es steht 1:0 für den Brose.

Die Kontrahenten treten an

Wir haben den Selbstversuch gestartet und den neuen 2020er BOSCH Performance CX (im Prototyp eines Cannondale Moterra) zur Probe gegen den Brose DriveS Mag (im Prototyp eines NOX Cycle) gefahren und müsse feststellen: der neue CX kann alles, was der Brose kann – aber er macht es jedoch sanfter! Jeder, der bei der Präsentation des neuen BOSCH Performance CX einen wesentlich kräftigeren und noch stärkeren Motor als seinen Vorgänger erwartet hat, wurde zunächst etwas enttäuscht. Denn Bosch hat die Entwicklung in eine andere Richtung gelenkt: nicht “noch stärker” war das Ziel. Sondern “noch dynamischer” und vor allem: “viel sensibler”. Das gibt dem Fahrer ein noch intuitiveres Fahrgefühl. Der neue CX glänzt mit absolut kontrollierbarem Anfahren auf losem Untergrund, bis zum explosiven Freilassen der maximalen Kraft an technisch schwierigen Passagen wie Kanten und Stufen bergauf. Diese Modulation bietet das Quentchen mehr Kontrollierbarkeit auf dem Trail. Der neue CX ist also der feinere, sensiblere Motor. Ein Wert, den man tatsächlich schlecht auf Papier darstellen kann. In diesem Bereich geht der Punkt ganz klar an den BOSCH. Ausgleich mit 1:1.

Der stärkere Motor gibt nach

Hat Bosch den Brose also auf dem eigenen Territorium des “intuitiven Fahrgefühls” geschlagen? Nein. Der DriveS ist immer noch ein unglaublich gut und harmonisch zu fahrender Motor. Er schiebt beim Antritt stärker an, ist von Anfang an etwas präsenter und mischt sich spürbarer als der CX ein. Niemals jedoch unangenehm! Eher wie ein herzlicher und sehr verbindlicher Händedruck. Der Brose DriveS Mag hat den „ausgleichendem“ Charakter. Beim Anpedalieren nimmt er sich den Bruchteil eines Wimpernschlages mehr Zeit als der neue Bosch Performance CX, um dann etwas kerniger loszulegen.

Der Bosch schiebt trotz seiner höheren Spitzenleistung sanfter an. Vorbei das „Traktor-Gefühl“ im Turbo Modus. Selbst in der höchsten Unterstützungsstufe bleibt der neue CX unglaublich dynamisch. Diese Fähigkeiten machen ihn im Gelände zu einem hochpräzisen, filigranen Werkzeug. Der Bosch „klebt am Fuß“ des Fahrers: kein anderer Motor setzt den Willen des Fahrers so intuitiv und so feinfühlig um, kein anderer Motor bietet soviel Kontrolle. Wie textete schon PIRELLI? “Power is nothing without control.” Im Bosch sorgen ein paar weitere Sensor dazu, dass der Motor das Gelände förmlich lesen kann. An Steigungen fährt der Bosch stärker an, als in der Ebene. Bosch nennt das “Multi Sensor Konzept”. So sichert sich der Bosch einen Punkt am Berg und holt sich das 2:1

Ein Vergleich aus der Autowelt

Wären die beiden Kontrahenten benzinbetriebene Automobilmotore, dann wäre der Brose DriveS ein samtweich laufender, großvolumiger V8 AMG. Souverän und druckvoll anschiebend. Und der Bosch CX ein turbinenartig hochdrehender BMW M-Power Sechszylinder mit Registeraufladung. Spontan am Gas und mit unglaublicher Dynamik. Witzigerweise klingen beide Motore auch so: der Brose DriveS “ballert” zwar nicht wie ein V8 – aber er klingt niederfrequenter. Der Bosch CX Gen4 dreht hochfrequenter. Da beide die sportlichsten Motore beider Hersteller sind, darf man ihnen die Leistung auch ruhig hören. Absolut flüsterleise sind beide nicht. Der Bosch ist stets präsent – aber auch den Brose hört man, wenn man Leistung abruft. Der Bosch Performance CX Gen 4 wird nach einer gewissen Einfahrzeit doch leiser. Das liegt an der Verwendung hochfester, technischer Kunststoffe in seinem Untersetzungsgetriebe, welche nach und nach einen eigenen Schmierfilm aufbauen. Trotzdem: den etwas unaufgeregteren Klang hat der Brose. So holt er sich ebenfalls nur ganz knapp das ausgleichende 2:2

Vor- und Nachteile beider Kontrahenten

Kommen wir zu den Vor- und Nachteilen des Charakters dieser beiden trainierten Sportler: Der Brose ist präsenter im Antritt und im Durchzug. Die optimale Kadenz ist ihm weniger wichtig, als dem Bosch. Und so hat der Brose einfach mehr Elastizität am Berg – auch wenn man sich einmal verschaltet und in einem zu hohen Gang unterwegs ist. Der Punkt geht also an den Brose und es steht 2:3.

Doch wo Licht, da auch Schatten: dieser Durchzug kostet Kraft – und zwar in Form von Strom. Der Brose DriveS Mag stellt bei gleicher Tretkraft etwas mehr Kraft zur Verfügung – was logischerweise ein wenig zulasten der Reichweite und der Reichhöhe geht. Je nach Eigenleistung des Fahrers und Unterstützungsstufe konnten wir 15% bis 20% mehr Reichweite bzw. mehr Höhenmeter mit dem CX Gen 4 herausfahren. Der Punkt geht an Bosch und es steht wieder 3:3 unentschieden.

Der Bosch belohnt eine höhere Kadenz genauso wie eine höherer Eigenleistung mit etwas mehr Leistung. Tritt man langsamer oder mit weniger Eigenleistung, kehrt sich das Spiel um. Mit niedrigerer Kadenz und geringerer Eigenleistung kann dann der Brose der bessere Partner sein, der einen dann mit mehr Kilometern und mehr Höhenmetern belohnt. Der Bosch läuft dann nicht mehr im optimale Wirkungsgrad. Und wieder ein Punkt für den Brose zum 3:4.

Eine gute Nachricht für Fans beider Motore

Einen Unterschied im Verhalten oberhalb von 25km/h gibt es nicht mehr. Die Schwächen des alten CX wurden für 2020 komplett ausgemerzt. Der CX der Generation 4 läuft so leicht wie der DriveS, man kann mit beiden Antrieben problemlos und locker über der Abregelgeschwindigkeit pedalieren. Dafür haben beide Hersteller einfach einen Punkt verdient. Es steht 4:5.

Einen letztes Detail in der Entscheidung könnte noch die Schiebehilfe bringen. Bosch hat die Schiebehilfe in der Stärke angehoben. Die Bedienung erfolgt einfach über den Taster am Lenkerschalter. Doch so richtig überzeugen tut das nicht. Beim Brose ist hingegen umständliche Daumenakrobatik gesagt, so dass der Punkt trotzdem an Bosch geht – obwohl jetzt bestimmt so mancher taube Daumen protestieren würde. Es steht 5:5

Die Unterschiede sind gering

Nun – Klarheit können vielleicht die Displays beider Systeme bringen? Brose ist seit diesem Jahr nicht mehr “Motorenhersteller” sondern “Systemanbieter”. Das heißt, dass es auch wie bei Bosch eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme gibt. Beide Hersteller, Bosch wie auch Brose, bieten Displays in mehreren Größen und Funktionen an. Erlaubt ist, was gefällt. Einen klaren Sieger oder Verlierer können wir im Bereich der Displays nicht ausmachen. Zu verschieden sind die Ansprüche der Fahrer, zu verschieden das, was einem gefällt oder nicht. Wir geben beiden Herstellern einen Punkt. Bosch für das Navi im Nyon und die Connect-App, die sich nun auch mit dem Kiox verlinkt. Und Brose einen Punkt für die individuelle Einstellbarkeit der Fahrmodi per App. Es steht 6:6.

Das herausragende Merkmal des Bosch war in der Vergangenheit seine thermische Stabilität. Bosch macht daher beim 2020er CX den Fahrradherstellern ganz klare Vorgaben zur Gestaltung des Rahmens und Belüftung des Motors. Das hatte Brose im Fall von Specialized versäumt und es gab daher Fälle von überhitzten Brose-Antrieben. In Social-Communities wie dem »Pedelecs-Forum« war in letzter Zeit häufiger mal von gerissenen Zahnriemen im Motor des Brose zu hören. Fairerweise muss man sagen, dass man auch vom Vorgängermodell des Bosch CX in der Vergangenheit den einen oder anderen Fall von defekten Motoren lesen konnte. Beiden Firmen muss man aber zugute halten, dass sie sich vorbildlich um ihre Kunden kümmern und Garantiefälle zügig und kulant abwickeln. Wir vergeben keine Punkte, so dass es bei einem fairen und unentschiedenen 6:6 bleibt.

 

Fazit: Nach Punkten unentschieden

Auch, wenn das Ergebnis 6:6 und damit unentschieden heißt: die beiden Antriebe sind nicht “gleich”. Die Unterschiede liegen in feinen Nuancen. Ein klares “besser” oder “schlechter” lässt sich nicht finden. Der Brose macht Spaß mit seinem etwas druckvolleren Antritt und seinem besseren Durchzug. Insgesamt ergibt das den ausgleichenden Charakter. Auf der Minusseite steht jedoch seine etwas geringere Reichweite bzw Reichhöhe. Der Bosch verblüfft mit seiner Sensibilität. Und einem unglaublich großen Dynamik-Umfang. Er ist einfach das feinere Werkzeug. Auf der Minus-Seite steht seine höhere Empfindlichkeit für die richtige Kadenz des Fahrers.

Und so bleibt bei der Frage: “welcher Motor?” unterm Strich nicht ein Punktsieg für den einen oder anderen Hersteller – sondern die Erkenntnis: das einzig entscheidende Kriterium ist und bleibt der Fahrer. Er alleine entscheidet, welcher Motor für >ihn< der passendere ist. Und deshalb lautet das salomonische Urteil: ganz gleich, für welchen Motor man sich nach einer ausgiebigen Probefahrt entscheidet – man entscheidet sich exakt für den richtigen!

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