Kompakträder sind ein aktueller Trend in der Bike-Industrie. Fast jeder Hersteller hat heute ein solches Rad im Angebot. Manch einer rühmt sich gar, der Begründer oder Erfinder dieses Trends zu sein. Doch wo liegen eigentlich die Anfänge dieses kompakten Fahrrades mit Unisex-Rahmen ohne Klapp- oder Faltmechanismus, mit einheitlicher Rahmengröße und den charakteristischen kleinen breiten Reifen? Wir haben uns auf die Suche gemacht, sind tief in die Geschichte des Fahrrades eingetaucht und haben erstaunliche, längst verschollen geglaubte Schätze gehoben. 

Trendsetter Kompaktrad

Wörter sind nur Schall und Rauch, wusste Goethes Faust. Egal, ob man je nach Land oder Zeit das Kompaktrad nun “Small Wheel Bicycle”, “Velo au petites roues”, “Mini-Velo”, “Minibike”, “City-Bike”, “Portable-Bike” oder “Shopper-Fahrrad” nannte – dahinter steckte immer die gleiche Idee: nämlich weniger Platzbedarf als ein herkömmliches Fahrrad und daher bessere Manövrier- und Transportierbarkeit. In engen Gassen, auf kurvigen Radwegen und belebten Plätze. Oder auf  Balkonen, in Caravan-Garagen und Hausfluren. Dazu ein Rahmen, der Dank Verzicht auf Klapp- und Faltmechanismen sehr stabil ist, oft in Verbindung mit einem meist etwas niedrigerem Einstieg. Manche dieser kompakten Räder haben zusätzlich einen klappbaren oder versenkbaren Lenker sowie Faltpedale um möglichst platzsparend zu parken.

Ein Damenfahrrad von 1890 der Marke “Thomas Smith and Son”, Modell “Hard Tire Safety Bicycle”. 20-Zoll Räder, langer Radstand und bequemer Einstieg passen schonmal. Kleiner als das übliche Hochrad war es auch. Aber wir sträuben uns, dieses Gefährt als “Kompaktrad” zu deklarieren… 

Das wesentliche Merkmal dieser Fahrradkategorie sind Laufradgrößen zwischen 18-Zoll bis 22-Zoll, wobei sich breite Ballonreifen mit 20-Zoll Durchmesser als bester Kompromiss zwischen Agilität und Komfort herausgestellt haben. Die kleinen Laufräder entwickeln geringere Kreiselkräfte, beschleunigen schneller und besitzen ein agileres Lenkverhalten. Der Rollwiderstand ist durch die breiten Ballonreifen nicht größer. Moderater Luftdruck schafft Fahrkomfort durch die Eigendämpfung der breiten Reifen, z.B. auf Kopfsteinpflaster und unbefestigten Radwegen. Es hat seine Gründe, warum sich diese Gattung immer größerer Beliebtheit erfreut. Bleibt die Frage: wer hat’s erfunden?

In einem Pub in Netter Edge, Sheffield, England hängt diese Fotografie von 1898. Das zweite Fahrrad von rechts ist ein kompaktes Ballonreifen-Fahrrad mit kleinen Rädern und starrem Rahmen, wahrscheinlich für das Militär gebaut.

Ein Franzose als Erfinder

Das Fazit zuerst: Nach langer Recherche können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen: Paul de Vivie hat das Kompaktrad 1911 – also vor genau 110 Jahren – erfunden. Doch warum taucht er nirgends als sein Erfinder auf? Nun – weil seine Idee des Kompaktrades leider von einer seiner anderen Erfindungen in den Schatten gestellt wurde. Eine Erfindung, die viel größere Auswirkungen auf die Fahrrad-Industrie hatte. Doch der Reihe nach: der 1853 geborene französische Fahrrad-Journalist Paul de Vivie war nicht nur Fahrrad-Enthusiast und Verleger des Fahrrad-Magazins „Le Cycliste“. Monsieur de Vivie war ein echter Fahrrad-Pionier und als Langstrecken-Reiseradler auch der Begründer des Fahrradtourismus. Er war Gründer der Fahrradmarke „La Gauloise“ und fuhr täglich den Col de la République hinauf, um sich mit anderen Radfahrern zu messen.


Der Erfinder des Kompaktrades hat gut Lachen: Paul de Vivie. Ihm zu Ehren steht an seiner Lieblings-Radstrecke auf dem Col de la République ein Denkmal. 

Am Anfang stand eine andere Erfindung

Zu jener Zeit gab es keine Gangschaltung an Fahrrädern. Paul de Vivie musste also vor Tourbegin festlegen, welche Kettenblattgröße bzw Übersetzung für seine Tour optimal wäre. Doch war dies immer ein Kompromiss zwischen “zu groß” für den Berg und “zu klein” für die Ebene. Als er einmal am Berg von einem anderen Velofahrer überholt wurde, ärgerte ihn das so sehr, dass er in seine Werkstatt ging und nachdachte. Er montierte zwei Kettenblätter an die Tretkurbel. Eine links, eine rechts. Damit hatte er die Kettenschaltung erfunden! Er stockte dieses Prinzip später bis zu vier Kettenblätter auf. Das händische Umschalten während eines Stopps war ihm aber zu umständlich – also tüftelte er weiter, bis er schließlich 1906 den „Umwerfer“ erfand, welcher erlaubt, mehrere Kettenblätter zu schalten. Er nannte diese Erfindung “Derailleur”.

Paul Vivies Erfindung, die die Radwelt verändern sollte: die erste Kettenschaltung, ausgestellt im Musee d´art et d´industrie de Saint-Etienne.

Kleine Laufräder als Rebellion

Die Erfindung des Derailleurs war so herausragend, dass Paul de Vivies andere – sprichwörtlich “kleine” – Erfindung daneben etwas in Vergessenheit geriet. Nämlich die eines kompakten 20-Zoll Fahrrades auf Ballonreifen. 1911 schrieb Paul de Vivie über seine neueste Erfindung einen glühenden Artikel im Magazin “Le Cycliste”, worin er die Vorzüge eines solchen Rades lobte. Unter seinem Autoren-Pseudonym „Vélocio“ wetterte er in einem Artikel mit der Überschrift „Vélocio versus le Tour de France“ gegen die vielen Vorurteile in der Bikebranche:

„… Meine eigenen Erfahrungen beruhen auf Laufrädern mit 50 cm (20 Zoll) Durchmesser und 57 mm (2,25 Zoll) breiten Reifen, aber ich kann garantieren, dass sie in einem Experiment bis zu 15.000 km zurückgelegt haben – und nicht den geringsten Nachteil in Bezug auf ihre Laufleistung hatten. Die Tatsache, dass sich die Allgemeinheit auf 70 cm Durchmesser als richtige Laufradgröße geeinigt hat, beweist keineswegs, dass große Laufräder besser sind; es beweist lediglich, dass die Radfahrer nur einander wie Schafe folgen.

Der Erfinder Paul de Vivie mit dem ersten kompakten 20-Zoll Fahrrad für Erwachsene. Es ist mit seiner selbst entwickelten Kettenschaltung und 57mm breiten Ballonreifen ausgestattet.

Das moderne Kompaktrad war geboren

Zwar mag es vorher bestimmt schon Versuche mit “kleinen Laufrädern” an Fahrrädern für Erwachsene gegeben haben – aber Paul de Vivie hat als Reiseradler, Vorsitzender des französischen Radfahr-Clubs und Herausgeber des Magazins “Le Cycliste” das 20-Zoll Kompaktrad in seiner heutigen Form erst populär gemacht: Unisex-Rahmen mit tiefem Einstieg, 20-Zoll Felgen mit 2,25 Zoll breiten Ballonreifen, einheitliche Rahmengröße und kompakte Abmessungen. Nicht nur die Eckdaten des Rades von Paul de Vivie scheinen auch heute noch modern. Der Erfinder des Kompaktrades war auch in sonstiger Sicht ein sehr moderner Mensch: er war Vegetarier und glaubte an eine “Weltgemeinschaft”, weshalb er fließend Esperanto sprach. Und genauso, wie er an “eine Sprache für alle Menschen” glaubte, glaubte er an “ein Fahrrad für alle”.


Paul de Vivie, genannt “Velocio” war ein moderner Mensch, Erfinder und Visionär. Er starb 1930 im Alter von 76 Jahren, als er radfahrend von einer Straßenbahn erfasst wurde. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof von Loyassee in Lyon.

Der zweite Weltkrieg, ein Philosoph und ein kleines Fahrrad

Wir bleiben in Frankreich. Unsere Recherche führt uns in ein dunkles Kapitel der Geschichte und in das Dritte Reich. In der NS Propaganda-Zeitschrift “Signal!” taucht in einem Bildbericht über “Paris auf Rädern” aus dem Jahr 1942 der französische Schriftsteller und Philosoph Jean Paul Sartre mit Hut, Mantel und Pfeife auf. Im Hintergrund der Arc de Triomphe. Nun – das ist nicht ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist sein Fortbewegungsmittel: ein 18-Zoll Kompaktrad. Ohne Falt- oder Klappmechanismus.

Original Bildunterschrift: “Ein radfahrender Professor. Diese praktische Konstruktion ist leichter zu fahren als ein gewöhnliches Fahrrad, aber man braucht eine gewisse Lässigkeit, um damit auf der Straße zu erscheinen.”
(Quelle: Signal! Jahr 1942, Ausgabe unbekannt)

Le Petit Bi

1939 taucht dieses kleine Fahrrad plötzlich in Paris auf. Es wurde in der Rue Mazarine No 9, im 6ten Arrondissement von André Jules Marcelin gebaut. Es besitzt neben den typischen Merkmalen eines modernen Kompaktrades weitere, sehr verblüffende Details: der Lenker kann wie beim Riese & Müller Tinker “weggeklappt” werden, damit das Rad schmal und schlank zum Beispiel in ein Auto passt. Und damit nicht genug: es kann “hochkant” geparkt werden wie ein TERN GSD, damit es in der Stadtwohnung nicht viel Platz weg nimmt. Und sein Sattel ist “teleskopisch” versenkbar und bei genauerem Hinsehen erkennt man sogar eine serienmäßige Sattelstützenfederung wie beim QiO. Der Prospekt preist das 18-Zoll Kompaktrad als “passend für Mann, Frau oder Kind” an.

Bildunterschrift: “Ein Mini-Fahrrad mit Teleskopsattelstütze und klappbarem Lenker, das man leicht ins Auto einladen kann.”

Erstes serienmäßiges Kompaktrad

Le Petit Bi” (übersetzt: “Das kleine Zweirad”) aus Frankreich ist damit das erste serienmäßig gebaute, kompakte Unisex Stadtrad für Menschen jeder Körpergröße, das man ohne Falt- oder Klappmechanismus im Rahmen trotzdem platzsparend parken oder transportieren kann. Heute würde man solch ein Fahrrad “Kompaktbike” nennen. Nicht nur das Konzept, sondern auch seine Geometrie und die vielen Detaillösungen scheinen auch heute, über 80 Jahre später, noch erfrischend modern. André Jules Marcelin beantragte am 23. März 1938 das Patent auf dieses Rad.


Sein Erfinder kam nicht aus der Fahrradbranche. Andre Jules Marcelin war ein Physikprofessor, der zusammen mit Jean-Baptiste Perrin, einem Nobelpreisträger für Physik, an der Universität Sorbonne in Paris arbeitete. Sie waren dafür bekannt, montags Seminare abzuhalten, zu denen bekannte französische Schriftsteller, Dichter und Künstler eingeladen wurden. So wurde das “Le Petit Bi” bei Pariser Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern bekannt. Und wohl auch Jean Paul Sartre auf das Rad aufmerksam. Es war “in” dieses kleine Fahrrad zu fahren. Für die damalige Zeit war es jedoch ein extravagantes und teures Vergnügen, so dass es nur in kleinen Stückzahlen produziert wurde.

Das über 80 Jahre alte Le Petit Bi ist heute eine echte Rarität. Hier ein wunderschön restauriertes Schmuckstück.

Ein intelligentes Konzept mit allen Attributen eines modernen Kompaktrades: Ballonreifen, abklappbarer Lenker, einschiebbare Sattelstütze und kompakte Maße.  

Das Le Petit Bi darf man wegen seiner vielen innovativen Details und seiner Serienfertigung zu Recht als “Das Original” bezeichnen.

Alle Merkmale eines modernen Kompaktrades

Die Idee von Monsieur Marcelin war es, ein leichtes, kleines Stadtrad zu schaffen, das zusammengeklappt in ein Auto oder einen Schrank passt. Es gab eine Stofftasche, in der das Fahrrad zusammengeklappt transportiert werden konnte. Dank des verstellbaren Sattels und Lenkers konnten Personen mit einer Körpergröße von 150 bis 190 cm mitfahren, wie der Prospekt verspricht. Ein Attribut, mit dem auch heute noch Kompakträdern beworben werden. Und: es gab in den Jahren 1949 bis 1951 sogar eine motorisierte Variante zu kaufen. Zwar nicht elektrisch, so wie heutige Pedelecs. Aber mit einem kleinen Benzinmotor von DMS:


Le Petit Bi als sogenannter “Hühnerschreck” mit kleinem Motor der Marke DMS, hergestellt von Le Petit Bi & La Mazarine zwischen 1949 und 1951. Hauptsitz: 9, rue Mazarine, Paris 6ième

Der “Vater” des Kompaktrades

Von 1911 bis heute war es ein langer Weg. Mit allen Höhen und Tiefen. In all dieser Zeit war das Kompaktrad mal populärer – mal weniger. Aber immer gab es den einen oder anderen, der an das Konzept glaubte und es weiterentwickelte. Unter ihnen der „Vater der Kleinräder“, Alexander E. Moulton. Dieser Entwickler hatte Ende der 50er Jahre bei BMC an der Entwicklung des Kleinwagens „Mini“ mitgearbeitet und die Federung entwickelt. Beides: die Federung mittels Elastomere und die kompakten Außenmaße, ließen ihn Anfang der 60er Jahre über ein Fahrrad nachdenken, das ganz anders als andere Fahrräder aussehen sollte.


Alexander E- Moulton (rechts) überwacht 1962 die Produktion seines ersten Kompaktrades. Man erkennt, dass es kein Falt- oder Klappmechanismus besitzt, wie seine späteren Räder.

Kompakte Fahrräder für eine moderne Gesellschaft

Alex Moulton war der Meinung, dass der klassische Diamantrahmen unbequem zu montieren, schwer auf die Größe des Fahrers einzustellen und nicht für beide Geschlechter geeignet war. Ein klassischer Damenrahmen mit tiefem Durchsteig stellte ihn aber in Sachen struktureller Stabilität nicht zufrieden. Mit Hinblick auf die ersten aufkommenden Kompakt-Autos fand er, dass große Laufräder ein herkömmliches Velo zu schwer zu verstauen machten. Moulton war anders als Paul de Vivie ein Pragmatiker und glaubte, dass ein kompaktes Fahrrad viel eher zu den gesellschaftlichen Pendlermustern in den Industrieländern passt, wo auf dem Weg zur Arbeit oft mehrere Verkehrsmittel kombiniert werden.

Das Moulton Deluxe von 1963 gab es sogar mit Zubehör wie eine Gepäckträger-Tasche und einen Frontträger. Praktisch: waagrechtes Rahmenrohr über dem Tretlager als “Tragegriff”, an welchem man das Moulton bequem hochheben konnte.

Kompakte Räder haben Vorteile

Moulton war der Ansicht, dass kleine Räder einen geringeren Rollwiderstand, eine geringere Trägheit und somit eine höhere Beschleunigung bewirken würden. Er entwickelte daraufhin in Zusammenarbeit mit Dunlop eine Reihe von 17-Zoll Hochdruckreifen. Für die kleineren Räder wurde eine Elastomer-Federung für Vorder- und Hinterrad entwickelt, um ein komfortables Fahren zu ermöglichen. Das Moulton-Fahrrad seiner Zeit voraus, denn ein gefedertes Fahrwerk sollte erst 30 Jahre später üblich werden. Das Moulton wird fälschlicherweise immer nur als “Faltrad” wahrgenommen. Richtiger ist die Bezeichnung “Small Wheel Bicycle”, von allem für die ersten Modelle, die einen starren Rahmen besaßen. Diese waren so verwindungssteif, dass sogar “Small Wheel Bicycle Races” ausgetragen wurden.

Das Moulton MK1 ohne Faltmechanismus war so stabil, dass es sogar als Trackbike eingesetzt wurde. 

Der Kompaktrad-Trend der 60er Jahre

Neben Moulton bauten auch andere Marken Unisex-Kompakträder, so wie Raleight, Batavus oder Sparta. Besonders Sparta hat sich als Hersteller von Kompakträdern hervorgetan. Diese niederländische Firma wurde 1917 gegründet und begann 1920 in Apeldoorn mit einer eigenen Fahrradfertigung. Ab den 30er-Jahren wurden auch motorisierte Zweiräder hergestellt. Anfang der 50er-Jahre profitierte Sparta, wie andere auch, von der wachsenden Nachfrage nach Mopeds und kleinen Motorrädern. Sparta war der größte niederländische Hersteller von motorisierten Zweiräder und die Fahrradproduktion wurde eingestellt. Doch schon 10 Jahre später machte die Gesetzgebung den Markt für Mopeds unattraktiv. Die Verkäufe bei Sparta brachen ein. Eine Lösung musste her!


Zeitgenössische Werbung von Sparta, einem niederländischen Fahrradhersteller, der sich eine zeitlang ausschließlich auf die Produktion von Kompakträdern spezialisiert hatte.

Das Kompaktrad als Retter aus der Krise

Man besann sich bei Sparta wieder auf die Wurzeln: die Fahrrad-Produktion. Als erstes und lange Jahre einziges Modell baute man ausschließlich ein Kompaktrad! 1967 wurde das Modell “Sparta 8/80” vorgestellt, ein Kompaktrades mit Unisex-Stahlpressrahmen in Einheitsgröße, das die ersten Jahre als nicht faltbares Rad und später auch in einer faltbaren bzw teilbaren Version angeboten wurde. Sparta folgte damit der damals aktuellen Minifahrrad-Mode. Sie kopierten im Grund genommen die entsprechenden Modelle von Batavus und Magneet, trafen aber den Nerv der Zeit und waren erfolgreicher als andere. Das Sparta 8/80 trug die Zielgruppe bereits im Modellnamen, denn dieses Rad wendete sich an Fahrer und Fahrerinnen von 8 Jahren bis 80 Jahren. Ein Verkaufsargument, dass viele Hersteller von Kompakträder auch heute noch geltend machen. Zudem besaß es in den ersten Baujahren noch eine werkzeuglos verstellbare Lenker- und Vorbaukonstruktion.
Ein wunderschön restauriertes Kompaktrad “Sparta 8/80” aus 1967. Dieses Rad wurde auf zeitgemäßere 20-Zoll Laufräder umgerüstet. Kann man machen!

Kindheitserinnerungen werden wach

Im Jahr 1971 bekam das Sparta 8-80 ein kleines Geschwisterchen: das Sparta 4-10 mit 18″-Rädern. Und genau hier ist der Autor dieses Artikels persönlich involviert. Dieses Modell war sein allererstes Fahrrad – und begründete wohl auch seine Liebe zu Kompakträdern. Knallrot war es, mit weißen Schutzblechen. Vorne mit einem kleinen Wimpel drauf, der im Wind flatterte. Mit diesem Rad erkundete unser Autor als Kind die “große weite Welt”, die damals aus einem Kuhdorf mit 800 Einwohnern und noch mehr Kühen bestand. Er sauste Hügel hinunter, blickte in den Himmel und sah die Wolken ziehen. Ein einzelner Sommertag konnte sich anfühlen wie eine Ewigkeit. Heutzutage würde man vom “Flow” sprechen. Damals genoss unser Autor die Leichtigkeit und Unbeschwertheit des Radfahrens – ein Gefühl das sofort wieder da ist, sobald er auf ein Kompaktrad steigt. Kompaktradfahren ist in erster Linie der pure Genuss, die unverfälschte Freude am Radfahren selbst, egal ob es nun ein QiO One, ein Cube Compact Hybrid, ein R&M Tinker oder irgendein anderes modernes Kompaktrad ist. Und Sparta? Diese Marke gehört heute zur Accell Group.
Das erste Fahrrad unseres Autors. Ein Sparta 4-10 mit 18-Zoll Laufrädern.

Die Rückbesinnung an eine vergessene Kategorie

Ende der 70er Jahren schlief der Trend um das “Fahrrad mit kleinen Laufrädern” wieder ein. Der Endkunde verband damit nur noch schauerlich instabile Falt- oder Klappräder, die nach dem Kollaps des Moped-Marktes massenhaft auf den Markt geworfen wurden. Ein simples Klappscharnier im Rahmen und eine Arretierungsschraube mit Bakelit-Drehknopf waren der Tod des so erfolgreichen “Kleinrad-Fahrrades”. Denn so, wie die Stabilität abnahm, nahmen das Vertrauen und die Verkaufszahlen ab. 20-Zoll Laufräder waren nur noch cool, wenn E.T. der Außerirdische damit gerettet wurde. Sprich: wenn es sich um ein BMX Rad handelte. Der Trend schwappte Mitte / Ende der 70er zu uns und löste das Bonanza-Rad als erfolgreichstes “Kleinrad-Fahrrad” ab. Nach dem BMX Trend folgte der MTB Trend. Das 20-Zoll Kompaktrad schien vergessen.

20-Zoll Räder? Nur noch als BMX…

Aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst

Wenn, ja wenn sich nicht Pashley Moulton, Cannondale  und GIANT an das geniale Konzept von Paul de Vivie erinnert hätten: 20-Zoll Klappräder – ohne Klapperatismus! Vor allem GIANT hat die Notwendigkeit eines solchen kompakten Fahrrades früh wieder erkannt. In Japan ist Wohnraum knapp und teuer. Alles, was Platz sparen kann, spart Geld. Und so entwickelt Die Firma GIANT Anfang der 2000er Jahre das Modell Escape Mini mit ikonischer Rahmenform und 20-Zoll Rädern. Dieses Modell wird 2005 vorgestellt.

Homepage von GIANT aus dem Jahr 2005 mit Vorstellung der Produktpalette für 2006. Von Anfang an Teil des genialen Kompaktrad-Konzeptes: vier verschiedene Ausstattungsvarianten und viele attraktive Farben. 

Das GIANT Escape Mini gefällt dem japanischen Markt sofort. Das Layout des Starrahmens ist sehr simpel – aber effektiv: zwei Dreiecke als Grundform bringen Stabilität, einen tiefen Einstieg und sorgen für ein sehr reduziertes, aber gefälliges Design. GIANT bietet dieses Kompaktrad in vielen attraktiven Farben an und hat auch Zubehör, wie z.B. den Frontträger parat. Das englische Magazin “ROAD.CC” berichtet über das “Mini Zero” als “Sport-Variante”. Die Tester sind begeistert. Das Rad fährt sich stabil und gut. Ganz anders als die bekannten Klappräder mit 20-Zoll. Das Kompaktrad ist wieder wachgeküsst. Zumindest in Japan und England.

Stabile Rahmenform mit ikonischem Design. 20-Zoll Ballonreifen. Attraktive Farben, sinnvolles Zubehör wie z.B. Frontträger. Merkmale, die GIANT bereits 2005 etablierte und die auch heute noch viele Kompakträder auszeichnen.

Ein Kompaktrad auf der Eurobike 2007

Auf der Eurobike 2007 präsentiert Cannondale ein 20-Zoll Fahrrad, das die versammelte Bikegemeinde zunächst nicht richtig einschätzen kann. Das Magazin “BikeRadar” schreibt über dieses Kompaktrad:

“…Cannondale hat große Neuigkeiten auf der Eurobike: … das Hooligan, eine urbane Maschine mit kleinen Rädern und Nabenschaltung, die wie der Bastard aus einem BMX und einem Moulton aussieht. Klingt komisch, aber es könnte funktionieren. Die kleinen Räder sorgen für eine hervorragende Beschleunigung (ideal für das Fahren in der Stadt) und der lange Radstand sollte für ein stabiles und vorhersehbares Fahrverhalten sorgen. Die Nabenschaltung bedeutet geringen Wartungsaufwand, und der robuste Rahmen sieht sicherlich robust genug aus, um mit den Straßen der Stadt zurechtzukommen…”

Das Cannondalee Hooligan, hier ausgestellt auf der Eurobike 2007 in Friedrichshafen. Es bringt den Kompaktradtrend frisch aus Japan nach Europa und steht auf breiten 20-Zoll Reifen.

Parallele Entwicklung in Deutschland

Zeitliche Koinzidenzen passieren immer dann, wenn ein Trend “in der Luft” liegt. Martin Kuhlmeier, Fahrradhändler aus Hüllhorst, macht sich völlig unabhängig von GIANT und Cannondale auch Gedanken zum perfekten Fahrrad. Und kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass die Zeit reif ist für ein kompaktes, aber stabiles 20-Zoll Rad. Am besten mit einem unverwechselbaren Rahmendesign. Ein Prototyp des i:SY genannten Kompaktrades wird 2008 auf der Eurobike ausgestellt. Begünstigt wird seine Konstruktion durch zwei andere Erfindungen: die Rückkehr des 20-Zoll Ballonreifens im Jahr 2005 mit dem Schwalbe Big Apple. Und die Erfindung des Speedlifteer Twist von bySchulz im Jahr 2006, womit man den Lenker nicht nur absenken, sonder auch um 90° anklappen kann. Das Klapppedal gibt es schon länger.

Variationen der selben Idee.
Oben links: GIANT Escape Mini 2005. Oben rechts: i:SY Prototyp 2008

Mitte links: Raleigh Compact 2006. Mitte rechts: Cannondale Hooligan 2007
Unten links: Epple Twin Cat 2006. Unten rechts: VSF Compact 2006

Und damit nicht genug der Synchronitäten: auch die Firmen Epple, Kreidler, VSF Radmanufaktur und Raleigh haben ab 2006 Kompakträder im Angebot. Wie das GIANT in Japan drei Jahre zuvor, trifft das i:SY, als es 2009 auf den Markt kommt, genau den Nerv der Zeit. Reisetauglichkeit, steifer Rahmen, tiefer Schwerpunkt, gutes Handling – und letztlich auch eine Rebellion gegen den stilistischen “Einheitsbrei” am Markt sind auch hier die Argumente, die das i:SY erfolgreich werden lassen. Das Konzept mit einer großen Farbpalette kommt auch in Deutschland gut an. Genauso wie die Möglichkeit durch Frontträger, Taschen und anderes Zubehör, das Kompaktrad zu individualisieren.

Zur Anfangs unmotorisierten Variante des i:SY kam 20011 auch eine Version als Pedelec dazu. Bunte, jährlich wechselnde Farben und sinnvolles Zubehör machen auch dieses Kompaktrad erfolgreich. 

Entwicklung heute

Der größte Verdienst des i:SY ist sicherlich, durch geschicktes Marketing wieder ein Bewusstsein für das Kompaktrad geschaffen zu haben. Inzwischen folgen viele andere Hersteller und orientieren sich mit ihren Modellen dabei auch an den Kompaktrad-Originalen von Paul de Vivie, Andre Jules Marcelin oder Alex Moulton. Seien es die 20-Zoll Ballonreifen, die steilen Hinterbaustreben, der tiefe Einstieg, die streng geometrische Form oder gar solch praktische Details wie eine Art “Tragegriff” über dem Tretlager, einen Lenker zum Anklappen oder eine versenkbare, gefederte Sattelstütze. Alle diese Details hat man in der Vergangenheit schonmal gesehen und jeder Hersteller sucht seine eigene Formensprache – wobei es in der Natur dieser Fahrradkategorie liegt, dass sich diese Räder manchmal doch recht ähnlich sehen.


Varianten des für Kompakträder typischen “Doppel Dreieck” Rahmendesigns. Von links nach rechts: Kalkhoff Sahel, Epple Twin Cat, Cube Compact Hybrid. 

Die Zukunft

Ein traditioneller Hersteller von Kompakträdern, die Firma Hartje, hat das Potenzial von Kompakträdern ebenfalls erkannt und zitiert mit ihrer Marke QiO in charmanter Art und Weise “Das Original” aus den 70ern: wie bei Sparta setzt QiO ausschließlich auf Kompakträder. Und wie beim legendären Modell “8/80” wird auch beim QiO ein zweiteiliger Monocoque Rahmen verbaut. Zwar nicht mehr aus Stahlblech – sondern State-of-the-Art werden zwei, im Gravity-Casting-Prozess hergestellte Rahmenhälften, nahtlos zusammengefügt.

Neben hervorragenden, stabilen Fahreigenschaften sorgt das für einen modernen, cleanen Look ohne Schweißnähte. Das macht das Kompaktrad QiO optisch und technisch zum derzeit modernsten Vertreter seiner Art – und fit für die Zukunft. Selbstverständlich ist das moderne Kompaktrad von heute motorisiert. QiO geht auch da einen konsequenten Weg und setzt in Zukunft auschließlich auf elektrisch unterstützte Pedelecs mit BOSCH Antrieb.

Pünktlich zum 110-ten Geburtstag des Kompaktrades feiert auf der IAA die neue Kompaktrad-Marke “QiO” Premiere – gebaut vom Kompaktrad-Traditionalisten Hartje.

Happy Birthday Kompaktrad!

Du wirst heuer 110 Jahre alt. Und wir müssen feststellen: Du wirkst frischer und moderner denn je. Danke an Deine Väter: Paul de Vivie, André Jules Marcelin und Alex Moulton. Danke auch an Deine Hersteller, wie Le Petit Bi, Sparta und Hartje, die Dich erfolgreich gemacht haben. Und natürlich den vielen Zweirad-Enthusiasten, die an die kompakten Fahrräder mit den kleinen breiten Reifen glauben.  Ihr macht das Leben ein wenig unbeschwerter! Denn das große Glück – das findet man auf kleinen Rädern…