Ich hatte die Gelegenheit, zusammen mit Mike „The Bike“ Kluge das neue FOCUS Paralane2 zu fahren. Das Paralane2 (sprich: Paralane Squared) ist ein Roadbike. Es ist nicht irgendein Roadbike. Es ist ein Roadbike mit E-Antrieb. Genauer: dem FAZUA Antrieb.
Dem Paralane2 voraus ging die Studie „Project Y“, welches auf riesengroße Resonanz stieß und die Macher bei Focus wohl überzeugte, das durchaus kontrovers diskutierte Konzeptbike wirklich auch auf die Serienräder zu stellen.
Da steht es also nun vor mir, das Paralane2. In einer unauffälligen Garage irgendwo im Industriegebiet des hügeligen Stuttgarter Speckgürtels. Hier gibt es geschwungene Landsträßchen, Schottersträßchen und auch Singletrails (die natürlich alle mindestens 2m breit sind). Das Bike ist genauso unauffällig: ein handgefertigtes Vorserienbike. Schwarzes Sichtcarbon. Keine Aufkleber. Keine Hinweis auf einen Motor.
Der Antrieb stammt von Fazua
Er bildet zusammen mit dem 250Wh Akku eine Einheit, die von vorne in das Unterrohr ein und ausgeklinkt wird. Das komplette Antriebssystem wiegt gerade mal 3,3kg und fügt sich nahezu unsichtbar ins Bike. Dadurch wird beim FOCUS Paralane2 ein Gewicht von nur 13kg realisiert. Und eine sehr cleane Optik. Ohne den entnehmbaren Motor und Akku bringt das Paralane2 knappe 10kg auf die Waage. Diese Zahlen sprechen schonmal für sich. Die klare Designsprache auch. Das Paralane2 sieht verdammt gut aus. Aber es geht nicht um Äußerlichkeiten. Ok. Nicht nur…
Komfort dank Gravel-Geometrie
Mike stellt mir den Sattel ein und lächelt breit. Wir rollen los. Ich realisiere, dass ich mein Fixie vor 4 Jahren verkauft habe und seitdem nicht mehr auf einem Roadbike saß. Es hat sich viel getan in diesen 4 Jahren. Eine neue Fahrradkategorie ist in der Zwischenzeit aus den USA nach Deutschland gekommen: das Gravelbike. Gravel ist englisch und bedeutet „Schotter“. Die Idee hinter Gravelbikes ist also ganz einfach. Es geht darum neben normalen Straßen auch unbefestigte Wege befahren zu können. Dafür bedienen sich die Bikes an Ausstattungsmerkmalen von Endurance und Cyclo-Crosser. Breite Reifen gehöre dazu. Aber auch Scheibenbremsen. Die Geometrie eines Gravelbikes ist zudem langstreckentauglicher, komfortabler und gemäßigter. Außerdem sehen viele Hersteller ihre Gravelbikes für die Mitnahme von Gepäck vor. Ein Gravelbike sprengt also die engen Grenzen des Asphaltbandes.
Wie mein geliebter alter Stahlrenner – nur besser!
Als allererstes bemerke ich die angenehme und aufrechte Sitzposition auf dem Paralane2. Angenehm und aufrecht nicht in Maßstäben eines Tourenfullys. Sondern in Maßstäben meines alten Roadbikes, eines stählernen Fixies mit Campagnolo Atlanta-Laufrädern, steilem Lenkwinkel und langem 3T Vorbau. Diese Direktheit, dieses knackige, verzögerungsfreie Antreten. Diese Lenkpräzision. Diese spielerische Leichtigkeit… Moment! Denke ich gerade an mein altes Fixie? Oder sind das die Eindrücke vom Paralane2? Ich stutze. Das Paralane2 erinnert mich an alle positiven Eigenschaften meines alten, geliebten Stahlrenners.
Aber da ist mehr. Da ist der längere Hinterbau und der längerer Radstand. „ Länge läuft“, wie der Segler sagt. Und das stimmt auch beim Paralane2. Es steht wesentlich ruhiger und unaufgeregter auf seinen Rädern. Die Sitzposition ist trotzdem nicht gestreckt. Aber auch nicht zu kompakt. Das spielerische Handling wurde durch den Steuerkopfwinkel beibehalten. Ich staune. So, als ob jemand mein geliebtes Roadbike genommen hätte und kurz mal alle negativen Fahrwerksmerkmale ausradiert hat.
Der Antrieb ist wie ein englischer Butler
Ich staune zusätzlich über den Komfort. Das liegt am eingebauten Flex in Gabel und Hinterbau. Carbon machts möglich. Ich fahre ein paar Meter Slalom und bemerke, dass die Agilität darunter nicht gelitten hat. Das Paralane2 macht enorm Spaß. Ich muss lächeln. Und schlagartig fällt mir noch etwas auf: ich habe bislang noch garnicht über den Antrieb nachgedacht. Ich sitze doch schließlich auf einem eBike. Da ist doch der Antrieb die Hauptsache, oder? Falsch. Beim Paralane2 ist alles anders: Du steigst auf. Du fährst. Du machst Dir überhaupt keine Gedanken über den Antrieb. Denn der Antrieb fährt nicht Dich. Du fährst den Antrieb. Die Unterstützung ist unglaublich subtil. Der verbaute Fazua spielt sich zu keinem Zeitpunkt in den Vordergrund, sondern arbeitet sehr dezent. Wie ein britischer Butler. Du merkst überhaupt nicht, dass er präsent ist. Du bemerkst dann aber sehr deutlich sein Fehlen, wenn er nicht mehr im Raum ist.
Das Focus Paralane2 fährt genau so, wie ein Rennrad fahren muss
Übertragen auf das FOCUS heißt das: man spürt den Motor erst, wenn man ihn ausschaltet. Dann merkt man, dass man vorher mit Unterstützung gefahren ist. Eine völlig neue eBike Erfahrung. Ich kann es kaum glauben, wie unaufdringlich der Motor zur Sache geht und schalte den Fazua am Display aus. Da! jetzt muss ich stärker treten. Ich schalte den Motor wieder ein. Jetzt stellt sich wieder das Gefühl von „Normalität“ ein. Ich verstehe langsam: das FOCUS Paralane2 sprengt nicht nur die Grenzen des Asphaltbandes. Es sprengt die Grenzen des typische E-Bikes.
Ich frage Mike, wie schnell wir fahren. Eine Tachoanzeige habe ich nicht. Mike grinst und will es mir nicht verraten. Ich lasse mich zurückfallen und trete wieder an. Der Wind um die Nase sagt mir, dass wir jetzt irgendwo um die 25km/h schnell sein müssten. Es war mir partout nicht möglich, die Unterstützungsgrenze auszumachen. Ich pendle wieder und wieder um die vermutete Abregelgeschwindigkeit herum. Nichts zu spüren. Kein anderer Antrieb blendet so sanft und unauffällig aus, wie der Fazua.
Her mit dem Schotter!
Wir biegen auf einen Schotterweg. Die Heimat des Gravelbikes. Spätestens hier wäre mein alter Stahlrenner mit seinen dünnen Trennscheiben und radikaler Geometrie völlig überfordert gewesen. Das Paralane2 ist genau hier in seinem Element. Die Feld-, Wald und Wiesentour auf schlechten Wegen. Die entspannte Lenkgeometrie und die Stabilität des Bikes kommen voll zum tragen und die 35m breiten Semislicks lassen einen selbst auf feinstem Kies zügig um die Kurven zirkeln. Das gefällt mir und ich staune erneut über den Komfort dieses Carbon-Renners. Ich werde vertrauter mit dem Bike und konzentriere mich nun auf die Ausstattung.
perfekt ausgestattet – und ein neuer Standard
Die verbaute Shimano DuraAce Di2 ist nach kurzer Eingewöhnung ein Traum. Die beiden Taster für die Schaltung im Rennrad-Bremshebel sind dank unterschiedlicher Oberflächenstruktur mit feinem Finger zu unterscheiden. Das runter- und raufschalten erledigt die Elektronik in der mir von der XT Di2 bekannten Manier: schnell, kurz, knackig und trocken. Wie ein guter Händedruck. Das Schaltschema kann hier natürlich auch noch individuell angepasst werden.
Bei den Laufräder kommt ein in Kooperation mit DTSwiss neu entwickelter Standard zu Einsatz: die Road Boost Achse. Dabei sorgt eine 12×148 mm Einbaubreite des Hinterrades für eine bessere Kettenlinie. Das ist quasi das einzige Zugeständnis an den Fazua-Motor, welcher das Tretlager (den sog. „Q-Faktor“) um 6 mm breiter werden ließ. Das Resultat dieses neuen Standards ist ein leiser, effizienter und langlebigerer Antriebsstrang. Logischerweise kommt daher in der Front auch keine 100mm sonder eine 110 mm breite Boost Achse zum Einsatz, ebenfalls mit 12mm Durchmesser.
Rennrad mit erweiterten Möglichkeiten
Nach einer viel zu kurzen Runde gebe ich das Bike zurück in die Hände von Mike Kluge. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Roadbikes mit E-Motor hat sich kein einziges Mal gestellt. Gerade wegen des verbauten Antriebsystems, welcher das Gewicht klein hält und sich überhaupt nicht in den Vordergrund spielt. Der Paralane2 ist also etwas für Fahrer, die aus der Rennrad-Ecke kommen und mehr Eigenleistung ins System treten wollen. Die aber nicht mehr nur harte Trainigseinheiten abreissen, sondern vielleicht mit Gepäck auf eine sportliche Genusstour „über Land“ gehen wollen. Wäre das Paralane2 ein Sportwagen, wäre es ein Aston Martin. Mit Allradantrieb und etwas mehr Bodenfreiheit.
Mein Fazit: das FOCUS Paralane2 ist ein auffallend komfortables und gutmütig zu fahrendes Gravelbike. Aufgrund des Fazua Antriebs ist es perfekt für Genussfahrer, die ein absolut natürliches Fahrgefühl wie bei einem konventionellen Rad wünschen und die sportliche Herausforderung suchen. Aber an Anstiegen und beim Beschleunigen sich eine sanfte Unterstützung wünschen. Der Fazua macht absolut Sinn und harmonisiert perfekt mit dem Paralane2. Mike Kluge kann schließlich nicht selbst jedem FOCUS Kunden bergauf die Hand auf das Schulterblatt legen und sanft anschieben…