Ich treffe mich mit Stephan Görgl auf eine Ausfahrt im Karwendel. Auf eBikes. Stephan Görgl bietet Touren durch das Karwendel an, der Kontakt kam über einen gemeinsamen Bekannten zustande. Ich bin gespannt. Denn Stephan ist nicht nur ein Mountainbike-Guide, sondern ein ehemaliger österreichischer Skirennfahrer. Seine stärksten Disziplinen waren der Riesenslalom und der Super-G. Als Sohn einer mehrfachen Olympia Medaillen Gewinnerin wurden ihm die Ski quasi in die Wiege gelegt. Mit zwei Jahren stand Stephan Görgl das erste Mal auf Ski, wie man auf Wikipedia erfahren kann. Seine Liste an Erfolgen ist beeindruckend: in Beaver Creek holte Görgl 2004 seinen ersten Weltcup-Sieg – quasi wie aus heiterem Himmel. Ein zweiter Weltcup-Sieg in Lenzerheide folgte. Im März 2005 wurde der sympathische Österreicher Staatsmeister im Riesenslalom. Es ging sportlich steil bergauf. Wann und wie kam es dazu, dass Stephan auf das eBike umsattelte? Ich beschließe, ihm genau diese Frage bei einer Pause auf der Eng Alm am Großen Ahornboden zu stellen.
Neben Erfolgen auch Verletzungen
Bei Schlutzkrapfen und Tiroler Gröstl lehnt sich Stephan Görgl zurück und gibt mir einen Einblick in sein Leben. Weniger von seinen Erfolgen. Stephan ist ein leiser, ein bescheidener Typ, der seine sportlichen Triumphe nicht wie eine Monstranz vor sich her trägt. Er muss niemandem mehr etwas beweisen. Sehr sympathisch. Sehr geerdet. Er gibt mir Preis, wie verletzungsreich der Profisport war. Seine Aufzählung der Verletzungen bleibt aber lediglich eine chronologische Aufzählung, ohne übertriebene Ausschmückung. Damit ich seinen Weg zum eBike nachvollziehen kann. 2006 zog er sich beim Training in Altenmarkt eine schwere Verletzung im rechten Knie zu – und musste den Rest des Winters pausieren. Die Saison 2009/10 war erneut von Verletzungen überschattet. Einem Meniskusriss im Dezember 2009 folgte drei Tage später ein Trümmerbruch der rechten Handwurzel. Damit waren seine Chancen für eine Qualifikation für die Olympischen Winterspiele 2010 passé. Stephan erzählt das alles gefasst, kurz, knapp und mit sanfter Stimme. Ein Bandscheibenvorfall zwang ihn in zur Saison 2011/2012 den OP-Saal. Zu Beginn der Saison 2012/13 bestritt er deshalb seine letzten drei Weltcuprennen. Aus der Traum. Und dann?
Die Stunde Null
Stephan berichtet, wie er am 12.12.2012 nach 12 Weltcup-Saisonen seinen Rücktritt vom Skirennsport bekannt gab. Das Datum ist die Anekdote – nicht der Leidensdruck dahinter. Stephan redet gänzlich ohne Bitterkeit, ohne Reue. Im Gegenteil: er sei sehr dankbar, erlebt zu haben, wie es sich anfühlt, einmal zu den besten der Welt zu gehören, wie er selbst sagt. Und man merkt im Gespräch mit Stephan: seine Verletzungen sieht er nicht als Pech, sondern als etwas, das ihn geprägt und stärker gemacht hat. Wenn man Stephan Görgl zuhört, dann ahnt man: der Hochleistungssport war seine Schule des Lebens. Innere Stärke, Disziplin, Zielsetzung und Wille waren die Unterrichtsfächer. Stephan hat trotz allem Ehrgeiz den Blick für seine Umwelt und seine Mitmenschen nie verloren. Er ist ein empathischer Typ, achtsam und sehr darauf bedacht, jedem ein schönes Erlebnis zu vermitteln. Stephan strebt Ausgeglichenheit an – innere wie äußere. A propos Ausgeglichenheit – was war dann der Ausgleich zum Skirennsport? Was konnte diese Lücke füllen?
Entschleunigung als neues Ziel
Stephan erzählt wie er nach seiner aktiven Laufbahn nur etwas tun wollte, was ihm wirklich Freude bereitet. “Mit der gleichen Leidenschaft, wie ich meinen Sport ausgeübt habe.”, fügt er hinzu. Man glaubt es ihm sofort. Stephan muss mit dem Herzen bei der Sache sein. “Und das war dann das eBike?”, will ich wissen. “Nicht sofort”, antwortet Stephan und schildert, wie er die brettlharten Rennski in die Ecke stellte und eine One-Man-Skischule gründete, um das Skifahren nun in allen seinen Facetten: von Skicamps mit Fahrtechnik bis hin zum Tourengehen mit Fellen. Das war eine neue Qualität in seinem Leben. “Wenn man seine eigene Schneespur in frisch gefallenen Neuschnee setzen kann, ist das ein unbeschreibliches Erlebnis. Mein Motto war früher: Höher! Schneller! Weiter! Nun lautet es: Pur. Intensiv. Mit allen Sinnen.” Ich verstehe und nicke. Nachhaltige Momente anstatt Hundertstel-Sekunden. Nicht mehr den Wettstreit gegen die Natur – sonder das genaue Geegnteil. Panoramafoto statt Fotofinish. War das eBike dafür das perfekte Vehikel? Ich hake nach.
Das eBike als Chance
Stephan zögert, bevor er antwortet. Und vertraut mir an, wie er das erste Mal mit seinem Schicksal haderte, als er sich im April 2015 bei einer seiner geliebten Skitouren zwei Brustwirbel anknackste. “Ich war doch extra aus dem Profizirkus ausgestiegen, um mich nicht mehr zu verletzen!” Zur Erholung ging Stephan nach Bad Waltersdorf. Ich stelle mir vor, wie das aussah, als Stephan mit Stütz-Korsett trotzdem versuchte, sich sportlich zu betätigen. Schwimmen ging nicht. Tennis auch nicht. Aber: das Hotel bot Leih-eBikes an. Stephan würdigte sie zunächst keines Blickes, wie er mich lachend versichert. Das war doch kein Sportgerät! Seine Freundin war es, die ihn schließlich nötigte aufzusteigen, um mit ihr eine Tour zu fahren. Stephan war zunächst skeptisch. Aber nach einer zweistündigen Tour wollte er gar nicht mehr absteigen. Er schildert diesen einschneidenden Moment mit funkelnden Augen: “Für mich war klar: Das wird meine Sommeraktivität! Ich war so begeistert, dass ich diese Begeisterung teilen wollte. Ich rief umgehend meinen Fahrradhändler an und orderte einige eBikes!” Stephan bot also nun Ski-Angebote im Winter und geführte eMTB Touren im Sommer an.
Besinnung statt Bestzeit
“Du hast also im eBike eine Verdienstmöglichkeit gefunden?”, will ich wissen. Stephan schüttelt langsam den Kopf: “Viel, viel mehr. Ich habe im eBike vor allem einen perfekten Coach gefunden! Über die Wahl der Motorunterstützung entscheide ich, wie intensiv ich trainieren möchte. Im Sommer halte ich damit Fitness für den Winter. Ich kenne kein gesünderes Trainingsgerät als das eBike.” Das will ich genau wissen: “Das eBike – also doch ein Sportgerät?” Stephan grinst mich breit an: “Ja, das eBike ist ein Sportgerät. Aber nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist!” Ich fange an zu verstehen. Im Profisport ging es Stephan um Zehntelsekunden und um Siegerfotos. Jetzt geht es ihm um Erlebnisse, die die Zeit vergessen lassen und auf keinem Foto festgehalten werden können. Stephan fährt fort: “Das eBike ist perfekt dafür. Es zentriert Dich wie kein anderes Sportgerät. Der Flow-Zustand ist so schnell erreichbar! Das fasziniert mich am eMTB.” Ich blicke über das Engtal auf den großen Ahornboden. Und stelle fest: richtig. Es geht um Ruhe, um Weite und um Herzklopfen. Das eBike ist ein Trainingsgerät für Körper und Geist.
Sensibilisierung für die Natur
Mit dem eMTB strömen natürlich auch immer mehr Menschen und Hobbysportler in die Berge. Wie hält Stephan Görgl es denn damit? Der Naturpark Karwendel ist schließlich ein empfindliches und geschützter Ökosystem. “Ich habe etwas gegen den Massentourismus in den Bergen”, versichert Stephan. “Trotzdem begrüße ich diesen Trend, denn die Berge sind ein schier unbegrenztes Eldorado. Erstens gibt es noch genug Trails rund um Innsbruck und zweitens ist es eine Frage der Stoßzeiten. Ich limitiere meine Veranstaltungen und guide Gruppen mit höchstens 8 Personen möglichst nachhaltig und umweltschonend durch die Berge. Ich sensibilisiere die Menschen für die Berge.” Zum Beispel, indem Stephan auf seinen Touren spielerisch Elemente aus Fahrtechnik-Kursen einbaut. Oder immer wieder den Blick seiner Tour-Teilnehmer für die Schönheiten der Natur schärft. Der vermeintliche Natur-Bezwinger ist in Wahrhet ein echter Naturliebhaber. Und er hat eine Mission: Der bewusste und achtsame Zugang zur Natur “mit allen Sinnen!” wird von ihm als bewusster Gegenpol zur klassischen Massenabfertigung in einer schnelllebige Zeit angeboten.
Die Freude daran, Freude zu teilen
Stephan kümmert sich dabei auch um diejenigen, die nicht mehr so fit sind: Mit Herz-Kreislauf-Patienten erkundet er wöchentlich Innsbrucks Umgebung. Es geht ihm dabei um die Freude: “Wirklich jeder hat ein breites Grinsen im Gesicht, wenn er zum Sonnenuntergang am Gipfel des Patscherkofel vom eMTB steigt.” Und weiter schwärmt er: “Dieses Licht, diese Farbenpracht, dieser Ausblick und dieses Glücksgefühl – ich nenne das den »Intense Effect«.” Diese Philosophie floss dann auch in den Namen seiner Event-Agentur: Görgl-Intense.
“Und?”, frage ich Stephan abschließend, “hast Du mit dem eBike Deine neue Erfüllung gefunden?” Stephan überlegt wieder, bevor er in seiner sanften Art antwortet: “Absolut. Diese Freude in anderen Gesichtern zu sehen ist meine allergrößte Freude. Das zählt für mich inzwischen mehr als Medaillen.” Ich stutze: “Wirklich?” “Ja, das kannst Du ruhig so schreiben…”
–
Die Tour auf die Eng Alm kann man buchen unter www.goergl-intense.at
Den Tourbericht durch das Karwendel mit Stephan Görgl kann man in der Zeitschrift »ElektroRad« Ausgabe 5/2019 lesen.